tl;dr
Dieser Artikel beschreib meine Erfahrungen beim Versuch ein umfangreiches persönliches Wissensmanagement aufzubauen. Dabei teile ich die gröbsten Fehler und Risiken, auf die man beim Erstellen eines solchen Systems achten sollte: Vor allem einen Fokus zu setzen und den Aufwand nicht zu unterschätzen. Zum Abschluss gibt es noch eine kurze Beschreibung meiner aktuellen Notizpraktik beim Lesen von Büchern.
2 Jahre Zettelkasten mit Obsidian: eine Reflexion
Ich erinnere mich noch gut daran, wie viel Spaß es mir gemacht hat einen Zettelkasten in Obsidian aufzubauen. Gerade als lernbegeisterter war das Versprechen, aufgenommenes Wissen später wieder einfach abrufen und nutzen zu können, sehr verlockend, schließlich schlägt das Vergessen unweigerlich zu. Doch nach 2 Jahren intensiven Arbeiten an meinem Obsidian Workflow war es mehr als Zeit zu reflektieren. Beim Aufbau eines guten persönlichen Wissensmanagement-Systems muss man auf einiges achten, und einiges habe ich zunächst falsch eingeschätzt. Meine Erkenntnisse dazu und Empfehlungen, welche Fehler man vermeiden sollte, möchte ich in diesem Artikel beschreiben.
Das Wichtigste: Häufig hört man den Begriff Digital Gardening. Der Vergleich mit dem Gärtnern passt tatsächlich sehr gut. Wenn man keinen Wildwuchs möchte, braucht es viel Arbeit und je größer der Garten wird, desto mehr Arbeit wird es. Auch über die Ernte sollte man sich Gedanken machen. Es geht nicht darum immer mehr Pflanzen in den Garten zu pflanzen, es geht darum einen schönen und gepflegten oder nutzbringenden Garten anzulegen.
Die verschiedenen Erkenntnisse haben dazu geführt, dass ich aktuell keinen umfangreichen Zettelkasten mehr weiterführe und Obsidian mehr dazu nutze Blogartikel und Artikelideen vorzubereiten. Wie ich mir heute Notizen beim Lesen mache, beschreibe ich kurz am Ende des Artikels.
Was ist ein Zettelkasten System?
Wer sich beim Lesen fragt: Was ist überhaupt ein Zettelkasten-System kann meine initialen Überlegungen dazu hier nachlesen: Persönliches Wissensmanagement als Lernmethode – LernXP: LernXplorer Blog
Risiken: Was ich unterschätzt habe
Fehlender Fokus
Da ich vielfältig Interessen habe stoße ich immer wieder auf interessante Impulse. Die meisten davon habe in natürlich versucht in meinem Zettelkasten in Obsidian zu dokumentieren. So ist sehr schnell eine riesige Sammlung an Information entstanden. Durch Tagging lässt sich natürlich das meiste wiederfinden, auch Hilfsseiten wie Maps of Content helfen einem einen Überblick zu erstellen, aber geht es wirklich darum jede interessante gesammelte Information abzubilden? Das meiste kann man auch schnell über Google wiederfinden.
Hoher administrativer Aufwand
Notizen in einem Zettelkasten sollen möglichst atomar sein. Das bedeutet pro Notiz sollte nur ein Gedanke dokumentiert werden. Lese ich ein Buch komme ich auf 50 oder 100 spannende Gedanken. Diese Gedanken alle in einzelnen Notizen abzulegen, zu taggen und zu verlinken ist ein riesiger Aufwand, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Es gibt Tools in Obsidian, um sich die Arbeit dabei zu erleichtern, aber der Aufwand bleibt dennoch sehr hoch.
Informationsarchivierung statt eigenem Denken
Dadurch, dass ich viel Zeit mit der Archivierung und Verwaltung der Daten eingesetzt hatte, blieb mir kaum noch Zeit für das eigene Denken. Ich habe nur noch die Gedanken anderer Menschen archiviert und für mich auffindbar abgelegt. Ein guter Zettelkasten sollte aber zu einem großen Teil aus eigenen Gedanken bestehen. Luhmann hatte seinen Zettelkasten ebenfalls in Quellennotizen und eigene permanente Notizen getrennt.
Kaum aktiven Nutzen aus den Notizen gezogen
Ich habe zwar viele spannende Inhalte in den Zettelkasten dokumentiert, aber die Inhalte im Verhältnis nur wenig genutzt. Einzelne Blogartikel sind aus meinen Notizen entstanden und ich hatte schnellen Zugriff auf guten Referenzen auf Quellen helfen. Jedoch funktionierte die Idee, einfach die eigenen bisherigen Notizen sinnvoll zusammenzustellen und in einen ersten Entwurf eines Artikels zusammen zu fassen, nicht wirklich gut. Letztendlich habe ich die Texte doch immer komplett neu geschrieben. Dabei haben mir die Überschriften oft mehr geholfen als die selbst eigentlichen Notizen. Die einzelnen Notizen zu einem Gesamttext zusammen zu setzten hätte niemals einen sinnvollen Text ergeben.
Empfehlungen, wer sich damit beschäftigt:
Erstelle einen Zettelkasten nur mit einem klaren Ziel
Wenn du ein klares Ziel vor Augen hast, kann ein Zettelkasten eine gute Idee sein. Planst Du zum Beispiel ein Buch zu schreiben und fängst gerade mit den Recherchen an, wird dir ein gutes Notizsystem weiterhelfen.
Dabei sollte ich aus dem entsprechenden Projekt auch ein klarer thematischer Fokus ableiten. Dieser Fokus hilft dir dann den Zettelkasten überschaubarer zu halten. Um zur Gärtner Metapher zurückzukehren: Wir wollen ja auch nicht möglichst viele verschiedene Pflanzen in dem Garten haben. Wir möchte, dass die schönen Pflanzen zur Geltung kommen und ein ästhetisches Gesamtbild entsteht. Zudem wird es anschließend auch ein Endprodukt geben, womit sich der Aufwand rechnen kann.
Direkt richtig notieren oder löschen
Erstelle direkt qualitativ gute Notizen. Lösche flüchtige Notizen, die du nicht nachbearbeitet hast. Luhmann hatte morgens flüchtige Notizen erstellt und abends permanente Notizen daraus abgeleitet. Konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was er mit der flüchtigen Notiz gemeint hatte, hat er diese entsorgt. Dieser „Reinigungsprozess“ ist wichtig, da sich sonst viel zu viele flüchtige Notizen ansammeln, die später nicht verständlich sind. Das ständige Nachbearbeiten bedeutet aber wieder einen hohen administrativen Aufwand, den ich bereits bei Risiken beschrieben hatte.
Starte nur, wenn du viel Zeit hast
Um einen qualitativ hochwertigen Zettelkasten zu erstellen, braucht mach viel Zeit. Eine interessante Übung die mir ein anderer Zettelkasten-Nutzer empfohlen hatte:
Einen Tag lang über jede permanente Notiz für 25 Minuten nachzudenken: Was bedeutet die Notiz für mich, warum ist diese Relevant.
So eine Reflexionsarbeit hilft sicher den Fokus besser zu setzen und zukünftig relevantere Notizen zu erstellen. Auf der anderen Seite zeigt diese Übung auch wie Zeitintensiv es ist, sich richtig mit einem Zettelkasten zu beschäftigen.
Strukturiere deine eigenen Gedanken, archiviere nicht die Gedanken anderer
Ein guter Zettelkasten entfaltet dann seine Wirkung, wenn Du deine eigenen Gedanken darin pflegst und ablegst. Speichert man primär Referenzen und Gedanken anderer Menschen, sogenannte Quellennotizen, hat man später wenig Nutzen davon. Man kann dann nur die Gedanken anderer Menschen wiedergeben. Ich hatte tatsächlich primär Quellennotizen erstellt. Erst durch eigene Inhalte und Erkenntnisse kann ein Zettelkasten wirklich wertvoll werden.
Wie ich heute Notizen mache: Sketchnoting
Ich versuche mich intensiver mit visuellen und handschriftlichen Notizen zu beschäftigen: Sketchnotes. Diese kann ich direkt beim Lesen erstellen und ich vermeide so spätere Nacharbeit. Sicherlich haben diese Notizen auch ihre Nachteile, aber wenn sie gut gemacht sind, helfen sie mir mich schneller wieder an Details zu erinnern. Bei Büchern kann ich die Notizen direkt im Buch als Lesezeichen nutzen. Nach dem Lesen des Buchs können die Sketchnotes im Buch bleiben, so dass ich im Buch immer eine grobe Zusammenfassung wiederfinde. Über eine einfache Scanner-Apps lassen sich die Notizen in PDFs verwanden, die ich auf meinem Rechner archivieren kann.
Als Format nutze ich ein in drittel gefaltetes DIN-A4-Blatt. In diesem Format passt das Blatt in fast jedes Buch. Das Buch selbst kann beim Notieren als Schreibunterlage genutzt werden. Die Idee inklusive einer detaillierteren Anleitung dazu habe ich aus dem Artikel The Bookmark You Take Notes On von Verbal to Visual.
Neben den veränderten Notizen habe ich mir zusätzlich vorgenommen häufiger meine Erkenntnisse in meinem Blog zu teilen.
Ergänzende Leseempfehlungen
Wer weitere kritische Meinungen zum Thema Zettelkasten lesen möchte, kann sich mit dem folgenden Reddit Post und Blogbeitrag beschäftigen:
- Rank and File — Real Life (reallifemag.com)
- A Response to Robert Minto’s Criticisms of the Zettelkasten Method : Zettelkasten (reddit.com)
Verwandte Artikel und Podcasts:
- Sketchnoting lernen mit LernOS
- Persönliches Wissensmanagement als Lernmethode
- Mein Notizworkflow mit Obsidian (1)
- Notizworkflow mit Obsidian (2)
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