Peer Learning, also das Lernen von Kollegen innerhalb eines Unternehmens, gewinnt zunehmend an Bedeutung. In verschiedenen Podcastfolgen und Blogpost sind wir auf Peer Learning und Informelles Lernen eingegangen (siehe Links unter dem Artikel). Doch wie lässt sich der tatsächliche Mehrwert von Peer Learning erfassen und nachweisen?
In diesem Beitrag möchte ich die Erkenntnisse einer Session von Shakil Awan auf der Zukunft Personal Europe 2024 zusammenfassen und ergänzen, in der er mit den Teilgebenden einige Ideen gesammelt hat.
Eine Modellrechnung für den ROI von Peer Learning
Andy Grove, ehemaliger CEO von Intel, hat eine Modellrechnung erstellt, die zeigt, dass bereits sehr kleine Effizienzsteigerungen durch informelles Lernen einen positiven ROI haben können (siehe Post zum Buch Work Rules!). Stellen wir uns vor, ein Kollege bereitet in 12 Stunden eine vierstündige Schulung vor, die mit 10 Teilnehmern durchgeführt wird. Wenn sich die Effizienz der Teilnehmer danach um nur 1 % erhöht, ergibt sich eine Einsparung von 144 Arbeitsstunden (1 % von 2000 Arbeitsstunden im Jahr pro Mitarbeiter * 10 Mitarbeiter = 200 Stunden. Abzüglich der investierten Zeit von 16 Stunden für den Sessiongeber und 10 * 4 Stunden für die Teilnehmer).
Darüber hinaus gibt es Studien, die den Mehrwert analysiert haben. So haben Cerasoli et al. in einer Meta-Analyse herausgefunden, dass Personen die sich aktiv am informellen Lernen beteiligen, im Durchschnitt eine um 32 % höhere Leistung erzielen als diejenigen, die dies nicht tun. Es sei darauf hingewiesen, dass bei dieser Analyse diverse Arten des informellen Lernens berücksichtig wurden.
Klassische Verfahren zur Erfolgsmessung
Bevor ich auf konkrete Ideen zur Analyse des Mehrwerts von Peer Learning eingehe, hier eine kurze Auflistung einiger klassischer Methoden zur Messung des Nutzens von Lernangeboten. Die bekanntesten sind:
- Das Kirkpatrick Modell, welches die Messung von Lernen in vier Ebenen unterteilt:
- Reaktion: Waren die Teilnehmenden zufrieden?
- Lernen: Wurden die Inhalte gelernt?
- Verhalten: Hat eine Verhaltensänderung stattgefunden?
- Ergebnisse: Hatte das Training Einfluss auf die Performance?
- Das Phillips-Modell: Eine Erweiterung des Kirkpatrick-Modells um die Messung des ROI.
Bei typischen Peer Learning Angeboten wie den LEX-Sessions oder dem Bosch-Club wird jedoch schnell klar, dass umfangreiche Befragungen und Tests wie sie in den klassischen Evaluationsmodellen eingesetzt werden, nicht zielführend oder zu aufwändig wären.
Drei Ansätze zur Messung des Wertes von Peer Learning
Ableitung des Wertes aus dem Nutzerverhalten
Lassen wir uns von einem anderen Bereich inspirieren. Stellen wir uns vor wir würden kein Peer Learning anbieten, sondern wären ein Startup das eine App launcht. Dann hätten wir klare Metriken, um das Nutzerverhalten zu Analysieren und daraus Rückschlüsse auf die Nutzerzufriedenheit ziehen:
- Teilnehmerzahl: Im Zeitverlauf lässt sich so gut darstellen, wie sich die Teilnehmerzahlen entwickeln. Dieser Wert allein ist jedoch nicht aussagekräftig genug. Zum einen kann die Anzahl der Sessions schwanken und es gibt in der Regel saisonale Unterschiede.
- Teilnehmerwachstum: Gibt an, wie viele neue Teilnehmer an den Programmen teilnehmen. Ein wichtiger Indikator dafür, ob die Angebote weiterempfohlen werden und ob die Kommunikation erfolgreich war.
- Return-Rate: Der Anteil der Teilnehmenden die innerhalb eines bestimmten Zeitraums wiederkehren. Dieser Wert zeigt uns, dass das Angebot für die Teilnehmenden relevant genug ist, und nicht nur die Werbung funktioniert.
- Bounce-Rate: Alternative zur Return Rate. Der Anteil der Nutzer, die nach der ersten Teilnahme nicht zurückkehren.
- Churn-Rate: Prozentsatz der bisherigen treuen Teilnehmer, die nicht mehr zurückkehren. Dies kann ein Indikator dafür sein, dass sich etwas am Angebot verändert hat, das die Teilnehmer dazu gebracht hat die Angebote nicht mehr wahrzunehmen.
- Durchschnittliche Verweildauer in der Session: Je früher Teilnehmende eine Session verlassen, desto größer ist wahrscheinlich ihre Unzufriedenheit. Eher ein Qualitätskriterium für die einzelne Session.
- No-Show-Rate: Prozentsatz der Lernenden, die sich für eine Session angemeldet haben, aber nicht erscheinen. Ein Indikator für die mangelnde Relevanz der Sessions.
Bei den Daten muss natürlich zunächst eine technische Machbarkeit gegeben sein. Es muss sichergestellt werden, dass die Daten datenschutzkonform erfasst und analysiert werden können. Zudem dürfen bei der Erfassung keine Prozesshürden für die Teilnehmenden entstehen.
Umfragen
Umfragen sind eine gängige Methode zur Evaluation von Lernangeboten. Hier einige Möglichkeiten, wie sie für Peer Learning Angebote genutzt werden können:
Umfrage nach jeder Session
Der Standard bei Lernangeboten ist wohl das typische „Happy-Sheet“ nach der Veranstaltung, bei dem die Zufriedenheit der Teilnehmer mit dem Angebot abgefragt wird (Kirkpatrick Level 1). Bei kurzen Peer Learning Sessions sollte diese Umfrage kurz gehalten werden. Vielleicht nur eine einfache Sternebewertung direkt am Ende der Session per Link und als QR-Code auf der Abschluss-Slide.
Eine Herausforderung ist, dass die Umfrage natürlich am Ende der Session geteilt wird. Zu diesem Zeitpunkt haben potenziell unzufriedene Teilnehmer die Session vermutlich bereits verlassen und werden damit auch kein Feedback abgeben. Dies kann das Ergebnis der Befragung entsprechend verzerren.
Zyklische Umfragen zum Mehrwert des Peer Learning Angebots
Eine alternative Umfragemethode ist, die Umfragen nicht nach jeder Session durchzuführen, sondern z.B. jährlich eine umfangreichere Umfrage durchzuführen. Dabei könnten zum Beispiel alle aktiven Teilnehmenden des letzten Jahres zu ihren Erfahrungen mit dem Peer Learning Angebot befragt werden. Um den Mehrwert zu ermittelt könnten neben der Zufriedenheit der Teilnehmenden auch die erwarteten positiven Einflussfaktoren des Lernangebots direkt in der Umfrage abgefragt werden. So könnten beispielsweise die Umsetzbarkeit des Gelernten, Effizienzgewinn, einfacherer Zugriff auf Experten oder der Mehrwert für das Business abgefragt werden.
Direkte Business Mehrwerte schaffen
Statt zu versuchen den Wert von Peer Learning zu messen könnte man die Fragestellung auch umkehren. Wie kann man Peer Learning nutzen um gezielt Mehrwerte zu generieren?
Strategisch relevante Lernthemen
Wenn strategisch relevante Lernthemen definiert sind, könnten diese gezielt durch Peer Learning Aktivitäten unterstützt werden. Möchte ein Unternehmen zum Beispiel die Fähigkeiten im Bereich generativer KI stärken, so es einfach eine Session-Reihe zu dem Thema anbieten oder einen entsprechenden Lerntag durchführen.
Projekteinsätze mit Peer Learning begleiten
Ein noch konkreterer Nutzen kann durch direkte Kopplung mit Projekteinsätzen erreicht werden:
- Spezifischen Wissensbedarf des Projektes durch Peer Learning adressieren
- Projektbezogene Erkenntnisse können durch Peer Learning in der Organisation geteilt werden
- Einsatz von Mentoring zur Unterstützung der Projektbeteiligten bei Herausforderungen
Hackathons mit konkreten Business-Fragestellungen durchführen
Wenn du ein Problem hast, mach eine Party draus!
Hackathons bieten eine besondere Form des problemorientierten Peer Learnings. Zunächst werden konkrete Business-Herausforderungen gesammelt. Anschließend finden sich interessierte Teilnehmende aus der Organisation die dazu gemeinsam Lösungsansätze erarbeitet. Neben den erarbeiteten praktischen Lösungen für das Business handelt es sich hierbei durch das problemorientierte Lernen um sehr intensive Lernerfahrungen.
Weitere Vorteile
Neben dem versucht die direkten Mehrwerte messbar zu machen, sollten die weiteren Vorteile von Peer-Learning nicht vergessen werden!
Vorteile für den Lehrenden
When one teaches two learn.
Robert Heinlein
Durch das Teilen des Wissens vertieft der Sessiongeber sein Wissen. Zum einen bereitet er sich inhaltlich für die Session vor, zum anderen lernt er durch die Fragen der Teilnehmenden. Desweiteren steigert es dich Sichtbarkeit der Expertise über Abteilungsgrenzen hinaus. So kann einfacher auf die Fähigkeit zurückgegriffen werden, wenn sie benötigt wird.
Einfluss auf die Unternehmens- und Lernkultur
Nicht zuletzt wirken sich Peer Learning Angebote auf die Lernkultur aus. Das kontinuierliche Lernen, welches immer wichtiger wird, wird gefördert und es entsteht eine Kultur der Offenheit und des Wissenteilens. In der heutigen schnelllebigen Zeit sind dies wichtige Faktoren.
Fazit
Es gibt vermutlich keine universelle Lösung, um den Mehrwert von Peer Learning zu belegen. Meine Hypothese ist jedoch, dass Peer Learning auch ohne zentrale Initiativen stattfindet. Zentrale Initiativen ermöglichen es aber das Wissen breiter anzubieten als es ein einfaches Lunch und Learn in einem Team könnte. So können Angebote mehr mitarbeitenden verfügbar gemacht werden.
Wie sind eure Erfahrungen zu dem Thema? Wie messt oder begründet ihr den Mehrwert von Peer Learning Aktivitäten?
Ich bin gespannt auf eure Ergänzungen.
Links
Verwandte Posts und Postcasts
- Informelles Lernen @ Scale: LEX – Lernen von Experten – Podcastfolge eines Peer Learning Beispiels von der Telekom
- Der Bosch Club: Eine Plattform für informelles Lernen bei Bosch – Podcastfolge über Peer Learning bei Bosch
- Learning Firday – Podcast über ein Lerntagformat von der schweizerischen Post
- Lerntage im Unternehmen für eine bessere Lernkultur Blogpost zur Idee, dem Aufbau und den Nutzen von Lerntagen
Weitere Links
- Fortbildung und Mitarbeiterentwicklung – Nutzen und Messbarkeit (sap.com) – Blogpost von Thomas Jenewein, der den Nutzen und die Messung des Mehrwerts von Mitarbeiterentwicklung aus verschiedenen Perspektiven betrachtet
Lieber Matthias,
vielen Dank für diese wertvolle Aufbereitung.