Teamlernen

Erfahrungen und Empfehlungen zum Teamlernen

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Ich bin überzeugt, dass Lernen für Unternehmen heutzutage extrem wichtig ist. Um die Wahrnehmung der Wichtigkeit des Lernens zu erhöhen, setzt man am besten auf Teamebene an. Es gilt hier die Priorität für Lernen zu erhöhen und gute Routinen zu etablieren. Ich möchte mit dem hier beschriebenen Ansatz eine Anregung dazu geben, wie kontinuierliches Lernen in Teams etabliert werden kann: Teamlernen.

Warum Teamlernen?

Lernen in Teams kann unterschiedlich aussehen. Der Standard ist sicherlich der Entwicklungsdialog zwischen der Führungskraft und den Mitarbeitern, in denen zielgerichtet Lern- und Entwicklungsziele besprochen werden und entsprechende Maßnahmen festgehalten werden. Die dort besprochenen Lernmaßnahmen werden jedoch meist nur zwischen Führungskraft und dem Mitarbeitenden besprochen. Damit sind sie nicht im Team transparent, da es sich schließlich auch um persönliche Entwicklungsziele handelt. Manche Führungskräfte kümmern sich zusätzlich darum, dass das Team gemeinsam an für alle wichtigen Trainings teilnehmen können. Doch reicht das?

In den meisten Bereichen verändern sich heutzutage kontinuierlich die Anforderungen und steig werden neue Fertigkeiten benötigt. Manchmal entwickelt sich auch einfach die Konkurrenz weiter oder es gibt neue Ansätze, die es auszuprobieren und zu adaptieren gilt. Gerade in Teams, die eine diverse Zusammensetzung haben braucht es eine gute Mischung an Fertigkeiten. Dennoch gibt es immer wieder Themen die mehr als nur Einzelpersonen betreffen. Hinzu kommt noch, dass häufiges virtuelles Arbeiten nicht dazu beiträgt den informellen Austausch zu fördern. Das kann dazu führen, dass die Transparenz über vorhandene, Fähigkeiten im Team geschwächt wird. Das betrifft gerade die nicht offensichtlichen Fähigkeiten. Teamlernen kann uns dabei helfen diese Anforderungen besser zu erfüllen.

Abgrenzung Peer Learning und Teamlernen

Zunächst möchte ich gerne die wichtigsten Unterschiede zwischen Teamlernen und Peer Learning beleuchten.

Peer Learning

Beispiele für Peer Learning sind Working Out Loud (WOL), LernOS oder einfach offene Lerngruppen, die sich z.B. über den PeerFinder gefunden haben. Beim Peer Learning Circles geht es meist darum Lerninteressierte zum gemeinsamen Lernen zusammen zu bringen. Dabei treffen sich meist bewusst fremde zu Lerngruppen zusammen. So eine Lerngruppe, die außerhalb des normalen Arbeitskontextes existiert, erzeugt einen sicheren Raum. So lässt sich neues ausprobieren, ohne dass man Angst haben muss, dass die Lernerfahrungen Einfluss auf die beruflichen Aktivitäten haben könnten. Zusätzlich verstärkt es den Vernetzungsaspekt.

Eine Kehrseite des Peer Learnings ist aus meiner Sicht, dass es meist nur Mitarbeiter anspricht, die bereits eine starke Motivation für das Lernthema mitbringen. Damit ist es aus meiner Sicht keine Lösung für die breite Masse der Mitarbeiter. Man könnte ähnliche Formate auch für Teams nutzten, dabei würde man jedoch einige Vorteile der Peer Learning Formate verlieren.

Teamlernen

Schaut man sich Teamlernen an, so geht es darum, dass die direkten Teamkollegen, oft in Kleingruppen, zusammen lernen. Unter Team verstehe ich Mitarbeiter, die organisatorisch zusammengehören und zusammenarbeiten. In manchen Fällen können auch Kollegen, die eng mit dem Team zusammenarbeiten Teil des Teamlernprozesses sein.

Vorteile des Teamlernens sind, dass innerhalb eines Teams meist für mehr Kollegen ähnliche Themen relevant sind. Somit lassen sich recht einfach Lerngruppen bilden. Durch das gemeinsame Beschäftigen mit dem Lernen im Team entsteht eine gemeinsame Sicht auf die Priorität der Lernthemen. Die entwickelten Lernziele haben auch eine höhere Verbindlichkeit, da sie offen im Team geteilt werden und durch den sozialen Aspekt erhöht sich die Motivation der Lernenden. Als Zusatznutzen kann sich die Teamkultur positiv durch die gemeinsame Lernerfahrung verändern.

Wie kann Teamlernen etabliert werden?

Ein gemeinsamer Teamworkshop ist eine gute Möglichkeit, um mit dem Teamlernen zu starten und einen kontinuierlichen Lernzyklus in Gang zu setzen. In diesem Workshop können die folgenden Schritte 1-5 vom Team bearbeitet werden. Das Team geht mit einem klaren Plan für ihre wichtigsten Lernthemen aus dem Workshop. Bei der ersten Durchführung kann es sinnvoll sein, sich durch einen dedizierten Moderator oder einen Lerncoach durch den Prozess führen zu lassen.

Schritt 1: Das Learning Backlog

Zunächst braucht es im Team einen Austausch darüber welche Themen relevant sind. Aus der Sammlung der Themen kann eine „To-Learn-Liste“ erstellt werden. Die Liste stellt anschließend eine Art Learning-Backlog dar. Es findet eine erste Priorisierung des Backlogs statt. Ähnlich einem Kanban-Board kann ein einfaches Learning-Backlog folgende Spalten haben:

  • To-Learn
  • Learning
  • Completed
Beispiel für ein Learning Backlog mit den Spalten To-Learn, Learning und Completed.
Learning Backlog

Je nach Bedarf können weitere Spalten hinzukommen. Wichtig sind bei der Pflege solcher Backlogs immer bestimmte Regeln:

  • Die To-Learn Liste ist nach Priorität sortiert. Die obersten Punkte sollten als nächstes angegangen werden
  • Die Anzahl der Themen in „Learning“ sollte begrenzt werden. Es braucht einen klaren Fokus was aktuell gelernt werden soll. Ist alles gleich wichtig, hat nichts eine Priorität. Auf physischen Kanban-Boards wird der „Doing“ bzw. „Learning“-Abschnitt bewusst begrenzt, damit er nicht zu viele Aktivitäten aufnehmen kann
  • Die Sammlung und Priorisierung der Themen sollte regelmäßig aktualisiert werden

Schritt 2: Lerngruppen bilden

Themen, die hoch priorisiert werden, sind meist für mehrere Kollegen*innen relevant. Hier empfiehlt es sich kleine Lerngruppen zu bilden. Durch die Gruppenbildung ermöglicht man einen inhaltlichen Austausch zu den Lernthemen und hat eine breitere Perspektive auf das Lernthema und die Methoden. Unterschiedliche Erfahrungen in der Lerngruppe unterstützen das Lernen zusätzlich. Ich habe gute Erfahrungen mit freiwilliger Zuordnung der Lerner zu Lernthemen gemacht.

Schritt 3: Konkretisierung der Lernthemen: Lernziele

Im dritten Schritt definieren die einzelnen Lerngruppen zunächst ihr Lernziel. Dabei geht es primär darum, dass die beteiligten ein gemeinsames Bild ihres Lernvorhabens entwickeln. Hier würde ich den Gruppen nicht zu viele Vorgaben machen. Wichtig ist nach meiner Erfahrung, dass das Ziel:

  • … konkret genug beschrieben ist. Eine einfache Benennung eines Lernthemas führt bei verschiedenen Personen zu sehr unterschiedlichen Interpretationen
  • … positiv formuliert ist. Ein Ziel welches mit „wir sind schlecht in …“ startet ist einfach nicht motivierend
  • … in einem überschaubaren Zeitrahmen erreichbar ist. Ist das Lernziel zu groß, empfehle ich gerne einen ersten Meilenstein zu planen, der in einem realistischem Zeithorizont erreichbar ist

Von standardisierten Lernzieltaxonomien wie z.B. Bloom würde ich eher abraten, da die meisten Teams nicht aus Instructional Designern bestehen. Diese zusätzliche Anforderung macht die Lernzielgestaltung für die Teilnehmer nur mühsamer. Sinnvoller ist es an bestehenden Erfahrungen der Teams anzuknüpfen und bereits im Team bekannte Ansätze der Zielformulierung zu nutzen (z.B. SMART oder OKR).

Als Zeithorizont nutze ich gerne 8-12 Wochen. Eine zu kurze oder zu lange Phase würde vermutlich dazu führen, dass weniger Lernziele erreicht werden. Entweder es gibt nicht genügend Zeit oder mit der Zeit gehen die Lernthemen aus dem Blick verloren.

Schritt 4: Definition der Lernmaßnahmen

Als nächstes sollten die Lerngruppen die möglichen Lernaktivitäten zur Erreichung der Lernziele sammeln und auswählen. Ich bin der Überzeugung, dass die Lernenden Experten für ihre Herausforderungen sind, und damit auch die Experten für die Lösung sind oder werden sollten (ähnlich wie beim Coaching). Zusätzlich haben viel Teilnehmer eigene Lernpräferenzen, denen sie gerne folgen dürfen. Dennoch gebe ich meist vor der Planung der Aktivitäten einen Impuls, dass das Konsumieren von Lerninhalten selbst nur die Vorbereitung für das Lernen ist. Fertigkeiten entstehen durch Anwendung, besser wird man durch Feedback, die Basis dafür ist das Wissen z.B. aus Lerninhalten. Ein recht einfaches Modell, um dies zu transportieren kann das 70:20:10 Modell sein, welches zwar in Kritik steht, aber für die meisten nachvollziehbar ist. Je nach Lernerfahrung und Lernthema kann es empfehlenswert sein, wenn ein Lerncoach über die Planung schaut und Feedback zu den Zielen und Maßnahmen gibt.

Schritt 5: Vergemeinschaften – Lernpläne teilen

Nach der Planung durch die Lerngruppen sollten die Lernziele und -aktivitäten mit dem gesamten Team geteilt werden. Dies erhöht die Transparenz zu den Lernvorhaben und bietet den Gruppen sich gegenseitig Feedback zu geben. Auch die Führungskraft wird so abgeholt und kann noch wertvolle Impulse an die Gruppe geben. In manchen Fällen erzeugen die Vorstellung der Pläne auch den Bedarf bei weiteren Personen an den geplanten Lernaktivitäten teilzunehmen.

Dies ist die letzte inhaltliche Phase des initialen Workshops. Je nach Team kann es noch notwendig sein Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die verfügbare Lernzeit, zu klären und Festzuhalten. Nach dem Workshop startet selbstorganisiert die Lernphase.

Abschluss der Lernphase gestalten

Bevor der nächste Lernzyklus gestartet wird, sollte zunächst der aktuelle Zyklus abgeschlossen werden. Der Abschluss besteht mindestens aus dies beiden Elementen:

Ergebnisse teilen

Da meist nicht alle Teammitglieder an allen Lernthemen beteiligt sind macht es zunächst Sinn grob die Ergebnisse zu teilen. Dadurch erzeugt man Transparenz über die neuen im Team vorhandenen Fertigkeiten. Es entsteht auch die Möglichkeit für andere Kollegen die vorgestellten Lernansätze für sich zu übernehmen.

Retrospektive

Der erste Lernzyklus wird vermutlich noch nicht perfekt sein. Damit sich eine Verbesserung des Teamlernprozesses einstellen kann empfiehlt es sich eine Retrospektive durchzuführen. Die Retrospektive schaut sich den Lernzyklus auf einer Metaebene an. Für eine Retro reichen meist einfache Fragestellungen aus:

  • Was lief in diesem Lernzyklus bereits gut – und sollte bewahrt werden?
  • Was lief noch nicht so gut und sollet verbessert werden?
  • Was sollten wir im nächsten Zyklus anders machen?

Wichtig ist sich anschließend gemeinsam auf Prozessverbesserungen zu einigen.

Erfolgsfaktoren für Teamlernen

Wer kennt das nicht: Ein Workshop voller Energie und Enthusiasmus. Doch nach dem Workshop trifft einen die Realität des Arbeitsalltags und die geplanten Aktivitäten geraten in Vergessenheit.

Gerade für das kontinuierliche Lernen im Team braucht es etwas, dass dabei hilft, dass das Lernen nicht in Vergessenheit gerät. Idealerweise entwickeln Teams eine Routine, die das Thema ganz selbstverständlich immer wieder hervorholt. Hier ein paar Gedanken dazu, was helfen kann, um kontinuierliches Lernen im Team zu etablieren:

Bestimmen eines Caretakers für das Teamlernen

Das Team kann einen Orchestrator oder Kümmerer benennen, der sich darum kümmert, dass das Thema Lernen regelmäßig auf der Agenda erscheint. Dies kann eingebettet in Teammeetings sein (siehe auch den nächsten Punkt) oder in separaten Meetings stattfinden. Bei dieser Rolle geht es weniger darum das Learning-Backlog zu pflegen und den Fortschritt der Gruppen zu tracken, sondern vielmehr darum, den kontinuierlichen Lernprozess zu moderieren. Man kann sich die Rolle ein bisschen vorstellen wie den Scrum Master des Lernens

Learning Check-In Fragen in Teammeetings

Der Caretaker für das Teamlernen oder die Führungskraft kann in bestehende Teammeetings Trigger einbauen, in denen die Lernfortschritte und Pläne kurz geteilt werden. Hier kann man sich z.B. an den Daily Stand-Up Fragen aus Scrum orientieren:

  • Was habe ich seit dem letzten Stand-Up gelernt?
  • Was werde ich bis zum nächsten Stand-Up erreichen?
  • Gibt es Hindernisse und kann mir das Team helfen?

Lernthemen nicht defizitorientiert wählen

Ein wichtiger Erfolgsfaktor ergibt sich aus der Zusammenstellung der Lerngruppen. Die Lernenden sollten sich die Themen nach ihren Interessen und Präferenzen auswählen. Ein reiner Blick auf Schwächen und fehlende Fähigkeiten, häufig gepaart mit fehlendem intrinsischem Interesse an dem Thema führt sicher nicht zu motivierten Lernern. Lernen funktioniert dann gut, wenn es Themen sind, die die Lernenden interessiert und ihnen Spaß machen.

Beteiligung der Führungskraft an den Lerngruppen

Die Führungskraft sollte ein Vorbild für das Team darstellen und selbst als Lerner wahrgenommen werden. Daher würde ich immer empfehlen, dass die Führungskraft als gleichwertiges Lerngruppenmitglied Teil des Teamlernens ist. Sollte dies nicht möglich sein, sollte die Führungskraft zumindest transparent machen, wie und was sie selbst lernt.

Fazit

Lernen für sich allein in der täglichen Arbeit unterzubringen ist für die meisten gar nicht so einfach. Wichtig ist es am Anfang die Einstiegshürde niedrig zu halten. Es soll dem Team leichtfallen und Spaß machen. Es geht am Anfang weniger darum, dass perfekte Lernziele und die perfekte Methode auszuwählen. Das Ziel ist kontinuierliches Lernen in der Organisation zu verankern. Ein organisierter Rahmen, wie der hier beschriebene, kann Teams dabei helfen Lernen Teil der Team-DNA werden zu lassen.

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